Research/Science/Theory

CV

Dissertation

Erkenne dich selbst? Erschaffe dich selbst!“ – Selfie, Selbstinszenierung, Social Media: Modifikation der Darstellungsform und Inhalte, Ästhetik der medialen Struktur und Selbstdiskurs im Kontext von Autobiographie und Virtualität im 21. Jahrhundert. Dissertation, LMU München: Faculty for Languages and Literatures 2020.

DOI: 10.5282/edoc.26765 [https://edoc.ub.uni-muenchen.de/26765/]

Printversion transcript Verlag [erschienen 08.11.2022 / ISBN: 978-3-8376-6489-8]

Vorträge + Texte/Future

Debüt im Debüt im Debüt – Live, Strobo und Axolotl Roadkill als literarische Debüts

Als Axolotl Roadkill 2010 im Ullstein Verlag veröffentlicht wurde, galt der erste Roman von Helene Hegemann – ihr literarisches Debüt – schnell als neue Literatursensation. Nach einstimmigem Lob und der Nominierung für den Leipziger Buchpreis entstand nur einen Monat später eine hitzige Debatte um Plagiatsvorwürfe, da Hegemann ohne Kenntlichmachung bei dem Blogger und Schriftsteller Airen abgeschrieben hatte.[1] Konkret handelt es sich dabei um das Werk Strobo, das 2009 bei SuKuLTuR und im Anschluss an die Plagiatsaffäre 2010 ebenfalls beim Ullstein Verlag erschien. Gilt Strobo somit als sein Debütroman,[2] so basiert der Text auf Airens früherem Weblog live. Anhand der drei Werke soll dargelegt werden, dass die Zuschreibung eines Debüts einerseits von der zu-, bzw. abgesprochenen ‚Debüt-Fähigkeit‘ des Schreibenden – Autor vs. Blogger – abhängt. Andererseits ist zu erläutern, inwiefern das Debüt mit dem Medium der Publikation zusammenhängt. Hierbei soll dargestellt werden, weshalb Strobo anstelle von live als Airens Debüt gilt. Zuletzt kann anhand der Plagiatsaffäre und der erneuten Publikation von Strobo aufgezeigt werden, dass auch die öffentliche Wahrnehmung einen entscheidenden Mechanismus in der o.g. Zuschreibung ausmacht.

[1] Vgl. Sonnabend, Lisa. Fall Hegemann. Blogger entlarvt Fräuleinwunder: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/fall-hegemann-blogger-entlarvt-fraeuleinwunder-1.67023, 17.05.2010 (zit. 16.04.2022).
[2] Vgl. Felber, Franziska, Marc Degens. STROBO: Der Blog, das Buch, Airens erster Roman: http://www.satt.org/literatur/10_03_strobo.html, 31.03.2010 (zit. 16.04.2022).

Debüt im Debüt im Debüt – Live, Strobo und Axolotl Roadkill als literarische Debüts. In: Literarische Debüts revisited. Hg. Katrin Dautel/Carola Hilmes/Peter C. Pohl. München: edition text+kritik 2023 [Sammelband, erscheint voraussichtlich 2023].

Vorträge + Texte/Past                         

Facebook, Fake News, Faust. Gegenwärtige und zukünftige Anforderungen an und Herausforderungen für die Germanistik. Vorgetragen bei der studentischen Tagung „Zukunft der Germanistik“. LMU München, 18./19.01.2019. / Literaturkritik (2019) [https://literaturkritik.de/public/artikel.php?art_id=1166&ausgabe=54]. Datum des Zugriffs: 28.01.2021.

Der Prozess der fortschreitenden Medialität des Alltags lässt sich als eines der großen Charakteristika der Veränderungen im 21. Jahrhundert beschreiben. Die Konsequenzen dieses Prozesses betreffen auch die Literatur. Im Zuge dessen zählt es zu den neuen Anforderungen an die Germanistik, sich mich den sich daraus ergebenden Phänomenen zu beschäftigen und neue Diskurse in das eigene Fach zu integrieren. Dies erfordert überdies eine Loslösung vom rein Textuellen als Arbeitsgegenstand. Vielmehr müssen sowohl digitale, literarische Phänomen, als auch Film und Serie, insbesondere das serielle Erzählen, Teil dessen werden, was als Gegenstand der germanistischen Analyse und ihrer Interpretation in vielfältiger Perspektive gilt. Überdies stellt die Literatur einen außerordentlich wichtigen und nahezu elementaren Bestandteil der Gesellschaft dar. Sie ist Medium der kulturellen Selbstreflexion und Selbstbeobachtung und bildet einen reintegrierenden Interdiskurs. Es muss gegenwärtig die Aufgabe der Germanistik sein, jene Diskurse aufzugreifen und sowohl die Leistungen und Funktionen von Literatur, als auch die Inhalte der darin geführten Diskurse zu betrachten, einzuordnen und gesellschaftlich zu vermitteln. Literatur hat das Potential, Gegendiskurse zu herrschenden Normen- und Wertesystemen zu zeichnen. Die Germanistik sollte dieses Potential nutzen, um sich kritisch mit gesellschaftlichen Phänomenen und Strukturen auseinanderzusetzen. Mehr denn je ist im Zeitalter von ‚Fake News‘, dem Lobbyismus als maßgebende Einflusskraft auf die Politik in einer vom Kapitalismus bestimmten Gesellschaft, Krieg, Terrorismus und einer stetig wachsenden Ungleichheit der Ressourcenverteilung die Rolle des Intellektuellen gefragt. Es muss im Selbstverständnis der Germanistik liegen, jene Dynamiken und Strukturen aus einer geisteswissenschaftlichen Perspektive heraus zu begreifen, die Welt als textuelle Struktur zu denken, Gegendiskurse und alternative Möglichkeiten aufzuzeigen, um so einen Beitrag zur Veränderung bestehender, zu kritisierender gesellschaftlicher, kultureller, politischer und sozialer Verhältnisse zu leisten. Es ist Aufgabe und Herausforderung der Germanistik als Teilgebiet der Geisteswissenschaften in den Dialog zu treten, die eigenen Fachgrenzen für interdisziplinäre Arbeitsweisen zu öffnen, verschiedene Perspektiven einzunehmen, um eine kritische, objektiv-reflektierte Position in der Gesellschaft einzunehmen, ohne sich im Sinne des Elitären von den essentiellen gesellschaftlichen Problematiken, Phänomenen und Dynamiken zu entgrenzen.

Der Tod als Bedingung des Lebens. Überlegungen zum Tod in einer postpandemischen Welt. Vorgetragen bei der internationalen Tagung „Rethinking society for a post-pandemic world“. Goethe Society of India, 30.11-02.12.2021.

Die Covid-19-Pandemie offenbart schonungslos einen fatalen, destruktiv wirkenden Mechanismus, der sich bis dahin zumeist unbemerkt in hochentwickelten Dienstleistungsgesellschaften wie Deutschland manifestierte: Die Verdrängung und Nichtakzeptanz des Todes. Der Tod aber ist das absolut Unausweichliche, nicht Abwendbare und dennoch Unbekannte. Verabsolutiert wird damit aber nicht das Leben, sondern das Überleben, d.h. die bloße Existenz. Zu Beginn seiner Homo-Sacer-Reihe führt Giorgio Agamben die Figur des Homo sacer ein, womit er das nackte, heilige Leben begreift. Es handelt sich um ein Leben, das „nicht geopfert werden kann und dennoch getötet werden darf.“1 Ursprünglich besteht diese Heiligkeit in „[der] Unterwerfung des Lebens unter eine Macht des Todes, seine[r] unwiderrufliche[n] Aussetzung in der Beziehung der Verlassenheit […].“2 Byung-Chul Han argumentiert, die gegenwärtige Reduzierung auf das nackte Leben mache alle – und nicht nur die von der Gesellschaft Ausgeschlossenen – zu homines sacri ; mit der Besonderheit, dass „sie nicht absolut tötbar, sondern absolut untötbar sind. Sie sind gleichsam Untote.“3 Diese Untoten seien zu lebendig, um zu sterben und zu tot, um zu leben.4 Hierbei opfere eine solche Gesellschaft für das Überleben bereitwillig alles, was das Leben überhaupt erst lebenswert macht; sie füge sich widerstandslos diesem Ausnahmezustand.5 Der Tod ist nicht das Gegenteil von Leben. Vielmehr transformiert er die bloße, nackte Existenz erst zu Leben; er verleiht dieser Bedeutung und damit Qualität. In Analogie zu Kants Definition der Aufklärung besteht für die Gesellschaft einer postpandemischen Welt die Notwendigkeit zur Befreiung aus dem selbstverschuldeten Homo-sacer-Zustand.

[1] Giorgio Agamben: Homo Sacer. Die Souveränität der Macht und das nackte Leben. 1. Aufl. Frankfurt am Main 2002, S. 92.
[2] Ebd., S. 93.
[3] Byung-Chul Han: Müdigkeitsgesellschaft. 9. Aufl. Berlin 2014, S. 37.
[4] Vgl. Byung-Chul Han: Palliativgesellschaft. Schmerz heute. 3. Aufl. Berlin 2021, S. 26.
[5] Vgl. ebd., S. 24.

Das Böse als Massenphänomen bei Marina Abramovićs Rhythm 0. Interdisziplinäre Tagung „Figurationen des Bösen“. Universität Koblenz-Landau, 01.-03.06.2022.

Insofern das Böse einem Abstraktum entspricht, ist seine Erscheinung stets an eine konkrete Repräsentation und eine damit einhergehende Klassifizierung als solches gebunden. Zugleich handelt es sich nicht um ein a priori bestehendes Phänomen. Vielmehr kann die Entstehung des Bösen als Prozess begriffen werden, der sich zwischen einzelnen Individuen und damit innerhalb einer Masse manifestiert. In der Masse, so Elias Canetti, könne der Mensch von seiner Berührungsfurcht erlöst werden.[1] Der einzelne Mensch selbst habe das Gefühl, „daß er in der Masse die Grenzen seiner Person überschreitet. Er fühlt sich erleichtert, da alle Distanzen aufgehoben sind, die ihn auf sich zurückwarfen und in sich verschlossen. Mit dem Abheben der Distanzlasten fühlt er sich frei, und seine Freiheit ist die Überschreitung dieser Grenzen.“[2] Grenzüberschreitend sind ebenso jene Handlungen, die eine solche Masse an einem außerhalb stehenden Subjekt verübt. Beispielhaft lassen sich diese Dynamiken und Wechselwirkungen an Rhythm 0, einem sechsstündigen Werk der Performance-Künstlerin Marina Abramović, aufzeigen. Das Publikum konnte sich 72 Gegenständen, darunter Parfüm, Honig, Wein, eine Rose, aber auch Scheren, Nägel und ein geladener Revolver, bedienen und diese an der Künstlerin, die sich zum passiven Objekt deklarierte, anwenden. Abramović zufolge bestand ihr Ziel darin, herauszufinden, wie weit das Publikum in dieser Situation gehen würde. Als eines der beängstigendsten Erlebnisse hierbei beschreibt sie den Moment, in dem ein Mann ihr den geladenen Revolver an die Schläfe drückte[3]: „It was a little crazy. I realised then that the public can kill you. If you give them total freedom, they will become frenzied enough to kill you.“[4] Nach dem Ende der Performance aber konnte sich keiner der Zuschauer mit der Künstlerin als Subjekt konfrontieren. Die Masse als Phänomen ist dynamisch, aus ihr heraus entstehen Gewalt und Macht, womit sie sich in einer extremen Form der Berührung am einzelnen Subjekt, d.h. dem Körper der Künstlerin, vergeht. Das Böse entsteht im Moment der Performance und innerhalb der Masse. Wird die Masse nach dem Ende der Performance, wodurch der Rahmen ihrer Konstitution entfällt, aufgelöst, so verbleiben Einzelsubjekte, die sich mit den Taten der Masse, deren Teil sie zuvor waren, nicht mehr identifizieren können. Hieraus resultiert die Dissoziation zwischen dem Handeln als Masse und dem Handeln als Individuum. Die Vergänglichkeit und Flüchtigkeit der Performance entsprechen einem Aufblitzen des Bösen, dessen Erscheinung aufgrund der Abhängigkeit von der Repräsentation ebenso vergänglich und flüchtig ist. Es zeigt sich lediglich in und durch die Masse, während es im Moment von deren Auflösung durch die wiederhergestellte Individualität verschleiert wird. Somit ist das Böse Teil einer Figuration und zugleich sind Figurationen des Bösen Teil eines jeden Subjekts.Kunst, und Literatur, ist damit die Leistung bzw. Funktion inhärent, jene Prozesse, Dynamiken und Mechanismen aufzuzeigen, die das immer und überall bestehende, zumeist jedoch verschleierte Böse konstituieren und manifestieren.  

[1] Vgl. Canetti, Elias. Masse und Macht. 1992, S. 10.
[2] Eben da, S. 15.
[3] Vgl. Marina Abramovic Institute. Marina Abramovic on Rhythm 0 (1974): https://vimeo.com/71952791 [zuletzt abgerufen am 04.06.2021].
[4] O’Hagan, Sean. Interview: Marina Abramović: https://www.theguardian.com/artanddesign/2010/oct/03/interview-marina-abramovic-performance-artist [zuletzt abgerufen am 04.06.2021].

Das Böse als Massenphänomen bei Marina Abramovićs Rhythm 0. In: Figurationen des Bösen. Interdisziplinäre Tagung an der Universität Koblenz-Landau. Hg. Stefan Neuhaus/Werner Moskopp. Würzburg: Königshausen & Neumann 2023 [Sammelband zur Tagung vom 01.-03.06.2022, erscheint 2023].

Das Böse als Massenphänomen Marina Abramovićs Rhythm 0

Panikherz-Selbst. Literarische Selbstkonstruktion in Benjamin von Stuckrad-Barres Panikherz. Tagung am Institut für Germanistik „Der Tote im Pool erzählt seine Geschichte. Benjamin von Stuckrad-Barres Panikherz als Gesamtkunstwerk“. Universität Osnabrück, 13.-15.07.2022.

In autobiographischen Texten wie Panikherz nehmen die subjektive Perspektive und die Auffassung über das Selbst durch das Selbst des Schreibenden eine zentrale Stellung ein. Was ein Selbst auszeichnet, worin es sich begründet, wurde und wird im Bereich der Philosophie ausführlich diskutiert. Davon abzugrenzen ist hingegen ein literarisches Selbstkonzept, welches lediglich im Moment des Werks und durch das Werk besteht. Das literarische Selbst entspricht daher einem textuellen Produkt bzw. einem Effekt von Stil und ist zugleich in Kontexte eingebettet, in denen Aspekte und Begebenheiten thematisiert werden, mit denen es inhaltlich in Verbindung steht. Die Konstruktion des literarischen Selbstkonzepts erfolgt in Panikherz mittels der Darstellung von Kindheitserlebnissen und damit einhergehender Verhaltensweisen, der Identifikation mit Personen des Umfelds (insbesondere Udo Lindenberg) und der Reflexion der von außen an den Autor herangetragenen Fremdwahrnehmung, wobei sich oftmals ein Widerspruch zur Eigenwahrnehmung ergibt. Die Destruktion des literarischen Selbstkonzepts steht dagegen in einem engen Zusammenhang mit der Essstörung und dem Drogenkonsum. Weiterhin lässt sich auf sprachlicher Ebene eine enge Verbindung der dargestellten Erlebnisse mit der Syntax, Grammatik und Diktion aufzeigen. Hiervon abzugrenzen ist dagegen die Selbstinszenierung des Autors (z.B. in den sozialen Netzwerken), insofern dieser eine außertextuelle Dimension sowie Intentionalität zukommen.

Literarische Selbstkonstruktion in Benjamin von Stuckrad-Barres Panikherz. In: „Der Tote im Pool erzählt seine Geschichte. Benjamin von Stuckrad-Barres Panikherz als Gesamtkunstwerk“. Tagung am Institut für Germanistik Universität Koblenz. Hg. Lisa Czolbe/Jasmin Plewka/Kai Bremer: Peter-Lang-Verlagsgruppe 2023 [Sammelband zur Tagung vom 13.-15.07.2022, erscheint 2023].